Freitag, 30. April 2010

Der Schein des Friedlichen. Oder: Kriminalitätsopfer

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle fast schon schreiben, dass Caracas gar nicht so schlimm ist wie gedacht. Dass man zumindest tagsüber in vielen Gegenden herumlaufen kann, ohne dass etwas passiert. Dass man nicht Angst haben muss, auf offener Straße am hellen Tage überfallen zu werden.

Das kann ich jetzt nicht mehr tun.

Denn heute wurde ich überfallen. Am hellen Tage, auf der Straße. Das Wichtigste: Mir geht's gut. Nur blöd, dass ein Teil meiner Ausrüstung weg ist. Ein schwarzes Auto kommt von hinten, drei junge Männer drin, zwei springen heraus aus, jeder eine Pistole in der Hand. Gib deinen Ruckack her! Das mache ich, sie gehen zum Auto zurück. Vielleicht erwarten sie, dass ich wegrenne. Ich will nicht provozieren und bleibe stehen. Sie kommen wieder, greifen mir in die Hosentaschen, auch mein Handy ist jetzt weg. Zumindest mein Schlüssel bleibt mir. Und kurioserweise mein Geldbeutel (in dem mit Absicht nichts Wertvolles war). Und sie sagen: Geh fort. Und weg sind sie. Ging schnell.

Ich werde nun noch vorsichtiger sein, vor allem auch in Gegenden, die friedlich aussehen, es aber offenbar nicht sind. Zumindest hatte ich nun die Möglichkeit mitzubekommen, wie die Polizei hier arbeitet (oder auch nicht). Beim Cuerpo de Investigaciones Científicas, Penales y Criminalísticas werde ich zunächst einmal Zeuge, wie ein Polizist, der dem Anschein nach angetrunken ist, zumindest sehr wütend, an einem Bildnis Hugo Chávez' vorbei die Treppe nach oben läuft und dem Präsidenten dabei, aus welchem Grund auch immer, derbe Flüche an den Kopf wirft. Klar wird mir auch: Die Polizei muss ein aufwändiges Archivsystem haben, denn die Anzeige, die der chillige und vielleicht etwas unmotivierte Beamte mehr oder weniger nach meinen Schilderungen zu Papier gebracht hat, muss ich in vierfacher Ausfertigung unterschreiben. Als ich dem Beamten verständnisvoll sage, dass es ja wohl nicht sehr wahrscheinlich sei, dass trotz alledem meine Sachen oder die "Subjekte" irgendwo auftauchen, schaut er mich nur ungläubig an, als wolle er sagen: Natürlich nicht. Und spielt weiter mit seinem abgegriffenen Blackberry herum.

Es scheint, als kommen nicht so viele Leute hier vorbei, um so etwas Kleinliches anzuzeigen wie einen Raub. Deshalb halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass die Dunkelziffer groß ist, was Kriminalität in Venezuela angeht. Denn warum seine Zeit verschwenden, um zur Polizei zu gehen, wenn dann sowieso nichts passiert? Ich habe zumindest eine Zusammenfassung der Anzeige mit Stempel, vielleicht zahlt ja die Reisegepäckversicherung was.

Freundlicherweise hat mich ein Motorradfahrer des Fernsehsenders, bei dem ich ein Interview geführt habe, hierhergefahren, auf mich gewartet und bringt mich jetzt noch zur U-Bahn. Der Mann fährt mich also mit seinem Motorrad durch den Feierabendverkehr, schlängelt sich zwischen den stehenden Autos durch, zielsicher auf den Zentimeter, umfährt Schlaglöcher, gibt wieder Gas, überholt und fädelt wieder ein, kurz bevor der Gegenverkehr auf uns zuheizt. Ich. hinten drauf, ohne Helm, halte mich mit beiden Händen an den Griffen fest und ich weiß nicht genau, was für ein Gesicht mein Fahrer gerade im Rückspiegel sieht.

Ich steige ab, meine Knie zittern leicht, bedanke mich, fahre mit der Rolltreppe zur Metro hinab und frage mich, was jetzt wohl gefährlicher war: Der Überfall oder die Fahrt mit dem Motorrad.

Donnerstag, 29. April 2010

Der Preis des schwachen Geldes



Es kann hier passieren, dass etwas ganz Billiges, eine Flasche Wasser etwa, plötzlich ganz teuer ist. Oder besser gesagt: Teuer klingt. Denn manch Verkäufer benutzt immer noch die alten Preise, jene Preise bevor drei Nullen gestrichen wurden. Seit Anfang 2008 gibt es den Bolívar Fuerte, inzwischen sind die alten Bolívares nicht mehr gültig. Wobei der starke Bolívar auch nicht wirklich stark ist, die Inflation liegt bei 25%, am Ende des Jahres wird ist wohl noch höher ausfallen.

Einige Preise:
1 Brot (Art Wabbel-Baguette) - 2,50 BsF.
1 kg Bananen - 6 BsF.
1 kg Mangos - 2,5 BsF.
0,6 l Pepsi-Cola - 4 BsF.
500g Pasta - 4,30-16 BsF.
1 kg Tomaten - 28 BsF.
1 Tageszeitung - 2,5-4 BsF.
1 Big Mac - 35 BsF.
1 gegrilltes Hähnchen - 65 BsF.

Wieviel Geld das umgerechnet ist, ist nicht so einfach zu sagen. Kommt darauf an, mit welchem Kurs man rechnet. Offiziell gibt es seit Anfang des Jahres ein fixes duales Wechselkurssystem. Der allgemeine Wechselkurs beträgt 4,30 BsF. pro Dollar. Eine Reihe "prioritärer Güter" (u.a. Lebensmittel, Insektizide und Schutzbrillen)" können mit dem Kurs von 2,60 BsF. pro Dollar importiert werden. Auf dem Parallel/Schwarz/Graumarkt bekommt man deutlich mehr für seine harte Währung: Momentan für einen US-Dollar 7,50 und für einen Euro fast 10 Bolívares.

Der Mindestlohn liegt in Venezuela bei 967,5 BsF. Und Übrigens, richtig billig ist hier vor allem eines: Benzin. (Und glücklicherweise auch U-Bahn-Fahren.)

1 l Benzin - 0,095 BsF.*
1 U-Bahn-Fahrt - 0,50 BsF.

(Liste wird fortgesetzt)
* Hier hat sich erst ein Kommafehler eingeschlichen. Es ist wirklich so billig.

Sonntag, 25. April 2010

Venezuela

Heute gab es Reis mit Bohnen, sehr lecker, dazu Mango-Fresco, ich hatte schon befürchtet, das sei hier gar nicht so verbreitet.
Und auch sonst hat alles gut geklappt. Der Flug war unspektakulär oder ich habe das, was es vielleicht Spektakuläres gab, verschlafen. Nur zum Essen bin ich aufgewacht und habe mich mit dem Blick auf die Mahlzeit meiner Sitznachbarin gefragt, wer eigentlich auf die Idee gekommen ist, dass Vegetarier keine Schokolade mögen. Mit einer Stunde Verspätung in Caracas gelandet. Gegenwind, kann ja passieren. Solange der keine Asche mitbringt, kein Problem.Dabei einmal mehr festgestellt, dass Iberia zum Start und zur Landung gerne Beatles-Lieder in Instrumentalversion spielt.

Der erste, der mich begrüßt, ist Präsident Hugo Chávez Frías. Er schaut von einem großen Plakat herab, stehend vor einer großen Satellitenschüssel, Knopf im Ohr, den rechten Arm in die Höhe gestreckt. Der Beamte der Einwanderungsbehörde sagt nicht viel und das, was er sagt, vernuschelt er.

Ich werde abgeholt am Flughafen, eine Cousine der Familie, bei der ich wohne, hat auf mich gewartet. Mit dem Auto geht es weg von der Atlantikküste durch die Berge. Jeder Stein am Straßenrand ist rot-gelb-blau angemalt, in den Nationalfarben. Wohl zur Feier von 200 Jahren Unabhängigkeit. Nach einer guten halben Stunde taucht Caracas auf. Kleine Häuser drücken sich die Hügel hinauf, viele leuchtend bunt angestrichen. Dazwischen Hochhaustürme, Bäume, ein McDonalds-Schild, kleine Häuser mit vergitterten Balkonen. Nach allem, was man hört, ist Caracas eine krasse Stadt. Ich bin gespannt, wie ich sie erleben werde.

Gehe dann früh schlafen; war, wenn ich richtig gerechnet habe, 42 Stunden nicht im Bett. Vorher sortiere ich noch meine Sachen. Ich schaue in meinen Pass: Der Beamte hat den Einreisestempel ganz nah an den von Nicaragua herangerückt. Und darunter schaut ganz sachte der der USA hervor, fast schon verblasst. Wahrscheinlich nur Zufall.