Samstag, 29. Mai 2010

Feinde der Revolution

Drei Jahre nach Entzug der terrestrischen Lizenz ist vom venezolanischen Fernsehsender RCTV nicht mehr viel übrig. Aber er will neu starten. Und der einzige verbliebene Oppositionskanal Globovisión bangt ums Überleben.



Bevor er beginnt, der bissige Blick auf Politik und Gesellschaft, distanziert sich RCTV erst einmal per Schrifttafel von den Begriffen, Meinungen und Kommentaren der beteiligten Personen. Dann aber legt die Moderatorin los. Berenice Gómez, klein und quirlig, trägt heute Jeans und eine lila gemusterte Rüschenbluse. Sie klappt ihren Fächer auf und springt mit den Augen von dem einen Teleprompter zum anderen. Sie faucht. Auf dem Bildschirm hinter ihr erscheint ein Junge mit einem Gewehr in der Hand, ein Plakat der Armeehochschule. Kinder an der Waffe, das findet Gómez gar nicht gut, sie brüllt: "Sein Hitler: Chávez". In Venezuelas Medien ist so ein Vergleich nichts Ungewöhnliches.

Gómez ist seit 35 Jahren Journalistin. Und sie ist wütend: "Dieser Kanal wird von der Regierung geschlossen, weil er aufzeigt, dass die Regierung regierungsunfähig ist." Sie klatscht mit der einen Hand auf die andere. "Aber ohne Widerspruch gibt es doch keine Nachrichten!" Was Gómez noch nicht weiß an diesem Nachmittag Anfang Mai: Ein paar Tage später wird "Los Chismes de la Bicha" ohne auch nur ein Abschiedswort nach sechs Jahren abgesetzt. RCTV sendet nur noch auf einigen Karibikinseln, die verbliebene Nachrichten- und eine Interviewsendung werden auch von einem kolumbianischen Satellitensender ausgestrahlt. Das war's.

Schatten seiner selbst

Radio Caracas Televisión, der älteste und einst erfolgreichste private TV-Sender Venezuelas, existiert nur noch als Schatten seiner selbst. Als RCTV vor genau drei Jahren die Ausstrahlung über Antenne einstellen musste und die Frequenz einem neuen staatlichen Sender übertragen wurde, gab es international einen Aufschrei und Proteste gegen die "Schließung". Die venezolanische Regierung betont seitdem, die Nichtverlängerung der Sendelizenz sei ein ganz normaler Vorgang bei einem Kanal, der seiner sozialen Verantwortung nicht nachkomme.
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RCTV reduzierte sein Personal um mehr als die Hälfte und sendete über Kabel, Satellit und Internet weiter. Er verlegte seinen Sitz nach Miami, um nicht den nationalen Bestimmungen zu unterliegen. Dazu gehört etwa, dass Ansprachen des Präsidenten auf allen Kanälen live übertragen werden müssen. Doch weil auch der neue RCTVi hauptsächlich aus Venezuela berichtete, wurde er weiter als nationaler Kanal eingestuft und Ende Januar aus dem Kabelnetz verbannt. Von den einst 3.000 Mitarbeitern sind jetzt noch rund 200 übrig, die Werbeeinnahmen sind weggebrochen - ein Zuschussgeschäft.

Der Niedergang von RCTV passt in die Strategie der Regierung Chávez, die mediale Vorherrschaft im Land zu erlangen. "Die Regierung will entscheiden, was die Leute sehen können", sagt William Echeverría, Präsident des Journalistenverbandes CNP. "Aber es sollte eine große Auswahl geben; dann kann jeder selbst entscheiden, was er sich anschauen will." RCTV will noch nicht aufgeben, sondern sich neu erfinden. Details will Vizedirektor Oswaldo Quintana am Telefon nicht nennen. Er ist gerade auf der ganzen Welt unterwegs, um auszuhandeln, wie der Neustart aussehen wird.

Präsident Hugo Chávez und die privaten Medien haben schon lange ein gespanntes Verhältnis. Für Chávez sind sie Oligarchen und "Feinde der Revolution". Viele private Medien ihrerseits unterstützten 2002 offen die Putschisten, die Chávez für 48 Stunden aus seinem Amt entfernten. Auch RCTV.

Sender wie Televen und Venevisión sind danach zurückhaltender geworden - und bekamen ihre Lizenz verlängert. Sie achten nun peinlich genau darauf, genügend Regierungspositionen im Programm zu haben. Den Sprechern beider Seiten gleichlang das Mikrofon hinhalten, ohne kritische Fragen zu stellen: Das sei doch nur noch Verlautbarungsjournalismus, sagen Kritiker. Aber es schadet auf jeden Fall nicht, wenn man weiter Werbung vom Staat bekommen will.

Der einzige TV-Sender, der jetzt noch einen klaren Oppositionskurs fährt, ist Globovisión. Er hat seinen Sitz ein Stück weg von der Innenstadt. Das Gebäude ist von einer hohen Mauer umgeben, Elektrozaun und Stacheldraht, Überwachungskameras. Es sieht aus wie eine Burg. Der Schutz ist auch nötig, denn der Sender muss immer wieder Angriffen standhalten. Der heftigste ereignete sich im August 2009, als 30 bewaffnete Chávez-Anhänger den Sender überfielen und Tränengasgranaten abfeuerten. Weniger sichtbar sind der politische und juristische Druck: Bußgelder, Verfahren der Medienaufsicht, Prozesse. Und im Jahr 2015 läuft die Lizenz aus.

Die Reichweite des Nachrichtensenders Globovisión ist gar nicht so groß, vor allem nicht außerhalb der Stadt, aber er bestimmt die Medienagenda stark mit. Für die Chavistas ist Globovisión der Gegner schlechthin. Sein Programm nennen sie "Medienterrorismus".

Klima der Angst

Bei der Redaktionskonferenz ist von alldem nichts zu spüren. Die meisten tippen auf ihren Blackberrys herum, eine Journalistin zieht ihre Augenbrauen nach. Auf zwei kleinen Flachbildschirm laufen staatliche Sender, auf dem großen das eigene Programm. Plötzlich schauen alle hin, breaking news: Der Oppositionspolitiker Oswaldo Álvarez Paz wird nach gut sieben Wochen aus dem Gefängnis entlassen. Er wird unter anderem der "öffentlichen Anstiftung zu Kriminalität" beschuldigt. In einer Globovisión-Sendung hatte er Venezuela als einen Hort des Drogenhandels bezeichnet und Anschuldigungen zitiert, die Regierung arbeite mit der kolumbianischen Farc-Guerilla zusammen. Auch Senderchef Guillermo Zuloaga wurde unlängst festgenommen - wenn auch nur für ein paar Stunden -, weil er Falschinformationen verbreitet habe. Er hatte gesagt, dass die Regierung Medien schließt. Beide Verfahren laufen noch.

In Venezuela ist ein Klima aufgezogen, das vielen Journalisten nicht behagt. Zum einen sind da die Gesetze, die die Arbeit einschränken. Es kann bestraft werden, wenn Nachrichten gesendet werden, die die öffentliche Ordnung stören oder die Sicherheit des Staates gefährden. Der Interpretationsspielraum dabei ist groß. Zudem ist es schwierig geworden zu recherchieren, bedauert die Reporterin Beatriz Adrián, die seit zwölf Jahren bei Globovisión arbeitet. Vor einem Jahr hat sie die Gehälter der Abgeordneten öffentlich gemacht. Seitdem hat sie keinen Zugang mehr zum Parlament. Der Präsident und seine Minister beantworten selten Fragen, ihre Sprecher braucht man gar nicht anzurufen, weil sie sich sowieso nicht zurückmelden. Globovisión bekommt zudem zu vielen Pressekonferenzen gar keine Einladung oder wird nicht hereingelassen.

Beatriz Adrián, 36, sitzt draußen im Café, umgeben von Grünpflanzen. Ein gemütlicher Ort; ihr Arbeitsalltag ist oft genau das Gegenteil. Adrián wurde wie viele ihre Kollegen schon auf der Straße angegriffen: "Sogar im staatlichen Fernsehen beleidigen sie dich persönlich und nennen deine Adresse." In der medialen Auseinandersetzung haben beide Seiten längst die Grenzen des Anstands aus den Augen verloren. Und viele Journalisten überlegen aus Angst nun viel genauer, was sie veröffentlichen. Das kann bedeuten, dass sie besser recherchieren. Meistens aber bedeutet es Selbstzensur.

Die Unsicherheit belastet Beatriz Adrían. Sie hat sich schon überlegt, ob sie nicht ihren Traumberuf aufgeben soll. Aber daran zu denken, das schmerzt sie. Denn eigentlich, sagt sie, wolle sie doch nur guten Journalismus machen.

(Zuerst erschienen in der sonntaz, der Wochenendausgabe der taz, vom 29.05./30.05. und auf taz.de.)

Freitag, 28. Mai 2010

Flug übers Barrio


Wer im Barrio San Augustín wohnt, hat seit Anfang des Jahres einen schnelleren Nachhauseweg. In wenigen Minuten fährt die Seilbahn von der Metrostation "Parque Central" den Hügel hoch. In die Kabinen steigen Mütter mit ihren Kindern ein, Männer mit Einkaufstüten. Und an diesem Samstagvormittag auch ich, der einfach nur mal das Barrio von oben sehen möchte. Spannend.



Die Fahrt ist übrigens kostenlos. Und weitere Metrocables in anderen Barrios sind in Planung. Über die Hintergründe des Projekts hat "Brand eins" in seiner Märzausgabe ausführlich berichtet. Den Artikel gibt es auch zum Download als pdf-Datei.



Mehr Fotos gibt's rechts, im Fotoalbum "Metrocable".

Montag, 24. Mai 2010

Lecker Mehl vom Präsidenten

Während die Inflation in Venezuela auf Rekordwerte steigt, bringt die Regierung von Hugo Chávez verstärkt Grundnahrungsmittel direkt unters Volk.



Es ist heiß, aus Lautsprecherboxen schallt Revolutionsmusik, und ein paar Soldaten passen auf, dass keiner aus der Warteschlange ausschert. Marcos Guttierez, 39, steht hier gerne an. Stundenlang sogar. Denn auf dem "sozialistischen Fleischmarkt" auf der Plaza Sucre im Westen von Caracas gibt es heute alles vom Rind in bester Qualität. Dazu andere Lebensmittel wie Reis, Zucker und Gemüse. "Hier sind die Preise solidarisch", sagt Guttierez, "hier können wir eine Menge Geld sparen."

Geld sparen - das haben er und seine Landsleute nötig. Denn nach der Währungsabwertung im Januar ist die Inflation in Venezuela auf ein Rekordniveau gestiegen. Allein im April lag sie laut Zentralbank bei 5,2 Prozent, so hoch wie seit sieben Jahren nicht. Besonders stark sind die Lebensmittelpreise nach oben geschnellt, um 11,1 Prozent allein im April. Agrarprodukte kosten fast doppelt so viel wie vor einem Jahr.

Die Regierung unter Präsident Hugo Chávez macht Spekulanten für den Preisanstieg verantwortlich und setzt verstärkt darauf, Produkte des täglichen Bedarfs tonnenweise selbst unters Volk zu bringen - subventioniert mit Petrodollars. Per Twitter kündigte Chávez an, dass Mitte Juni auch die vor einigen Monaten enteignete Supermarktkette Cada in das staatliche Vertriebssystem integriert wird.

Kurz danach wurde die Verstaatlichung der mexikanischen Monaca-Mühlen bekannt. Vizepräsident Elías Jaua sprach von der Einführung "geplanter Märkte" in den ärmsten Gegenden. Das erinnert den Ökonomen José Guerra an Kuba. "Dort legt die zentrale Planungskommission fest, wie groß das Angebot und die Nachfrage der Haushalte sein darf", sagt Guerra.

Bei der Bevölkerung kommen solche Pläne nicht unbedingt gut an. "Ich will nicht, dass die Regierung mir aufzwingt, was ich kaufen soll", schimpft Nora Orellana. "Und ich habe auch keine Zeit, stundenlang für Fleisch, Mehl oder Zucker anzustehen." Die 58-Jährige wohnt in einem der grauen Hochhausblocks im Stadtteil El Valle.

An sechs Tagen in der Woche arbeitet sie in einem Schmuckgeschäft am anderen Ende der Stadt. Zum nächsten Supermarkt sind es nur einige Minuten zu Fuß. Aber dort bekommt sie oft nicht das, was sie braucht. Viele Grundnahrungsmittel sind Mangelware. Wenn es mal Zucker gibt oder Mehl, stehen die Paletten direkt an der Kasse. Damit alle etwas abbekommen, darf hier jeder Kunde nur ein einziges 2-Kilo-Paket Zucker mit nach Hause nehmen.

Dass es der Regierung gelingt, die Unterversorgung zu beseitigen, bezweifelt der Agrarexperte Carlos Machado Allison. "Das Problem ist, dass die Nahrungsmittelproduktion nicht mit der Bevölkerung gewachsen ist", sagt Allison. Der Staat als Produzent arbeite ineffizient und habe keine langfristige Strategie, um die Landwirtschaft auf Vordermann zu bringen. Ein Großteil der benötigten Lebensmittel muss nun importiert werden.

Wegen der Devisenkontrolle sei der Import aber stark reglementiert und bürokratisiert, bedauert Allison. Derweil soll die Zentralbank auch die Kontrolle über den inoffiziellen Tauschmarkt bekommen. Das Parlament stimmte vergangene Woche einer entsprechenden Gesetzesreform zu.

Marcos Guttierez hat inzwischen seine Einkaufstüten mit dem Bus den Hügel hoch ins Barrio gebracht. Im Supermarkt hätte der Einkauf das Doppelte oder gar das Dreifache gekostet, sagt er. "Gäbe es vier Chavéz auf der Welt, wäre es eine ideale Welt." Auf Guttierez und seine Nachbarn aus dem dicht bevölkerten Armenviertel kann der Präsident mit seiner Sozialistischen Partei PSUV nach wie vor zählen. Im September sind in Venezuela Parlamentswahlen.

Gutteriez führt auf das Flachdach seines Hauses, wo er in einem Bretterverschlag seine Werkstatt eingerichtet hat. An zwei Nähmaschinen produziert er zusammen mit seiner Frau Teile für Damensandalen. Vorher hat er direkt in der Schuhfabrik gearbeitet, jetzt verdient er als kleiner Selbstständiger endlich mehr als den Mindestlohn. Der wurde zwar Anfang Mai auf gut 1.200 Bolívares - das sind rund 360 Euro - erhöht, aber davon leben - das geht aus Berechnungen des Nationalen Statistik-Instituts hervor - kann in Venezuela niemand.



(Erschienen in der tageszeitung vom 25.05.2010 und auf taz.de.)

Sonntag, 23. Mai 2010

CCS-MAD-MUC

Die Taxifahrt zum Flughafen dauert. Stau. Das allerdings ist ganz normal, es wird einfach zuviel Auto gefahren. Auch kein Wunder, wenn eine Tankfüllung weniger kostet als eine Flasche Wasser. Im Radio läuft derweil deutsche Musik. Rammstein, was auch sonst.

Am Flughafen wird mir klar, warum es immer heißt, man solle rechtzeitig da sein. Erst kommt noch vor dem Einchecken ein junger Mann der Nationalgarde auf mich zu. "Anti droga" steht auf seiner Armbinde. Er stellt mir mindestens fünfmal die gleichen Fragen; was ich Venezuela gemacht habe, wo ich Spanisch gelernt habe, solche Dinge, und versucht mich in Widersprüche zu verwickeln. Dann sagt er mindestens fünfmal, dass ich lüge. Und dann sagt er gar nichts mehr, bleibt aber neben mir stehen. Die Befragung ist aber offenbar vorbei. Bevor das Handgepäck zweimal durchleuchtet wird, kommt ein anderer Beamte und holt zwei andere Männer und mich aus der Schlange. Bodyscan. Nackt fühle ich mich nicht. Dann wird mein Name ausgerufen, ich möge doch bitte ans Gate kommen. Gepäckkontrolle. Dafür geht's nach unten an den Rand des Rollfelds, man muss dazu eine gelbe Warnweste anziehen. Dort sind Koffer und Rucksäcke in einer Reihe aufgestellt. Zwei Männer werfen einem Hund einen Ball zu; der Hund hüpft freudig umher. Auf einem langen Tisch liegt mein Rucksack, der jetzt genau unter die Lupe genommen wird. Bei mir ist die Kontrolle relativ schnell vorbei, bei meiner Nachbarin nimmt es der Nationalgardist genauer. Er schüttelt jede Flasche, öffnet die Verpackungen von Schokoriegeln und bricht einzelne Riegel durch. Es könnte Kokain drin versteckt sein.

Als ich mit dem Bus unterwegs war, gab es meistens keine Sicherheitskontrollen. Einmal aber wurden alle Passagiere per Metalldetektor überprüft. Die Kontrolle macht ein junges Mädchen. Als sie mit dem schwarzen Stab über meine Hosentaschen fährt, piepst es. Kein Wunder, darin sind sind meine Kamera und mein Diktiergerät. Es piepst also, aber das Mädchen stört das nicht. Ich steige ein.

Beim Busfahren muss man - wie bei vielen anderen Gelegenheiten - seine Ausweisnummer angeben. Ich habe keine Lust, immer meine Passnummer nachzuschauen und auswendig lernen will ich sie auch nicht. So fange ich irgendwann an, einfach irgendeine Nummer anzugeben (ein bisschen auch aus Prinzip). 105ABC38970ZX oder so. Klappt wunderbar.

Auf dem Rückweg ein halber Tag Aufenthalt in Madrid: Super zur Akklimatisierung; eine schöne Stadt. Ich liege ein bisschen in der Sonne und laufe umher, einfach so, dahin, wo ich Lust habe. Wie nennt man das nochmal? Freiheit?

Jetzt bin ich wieder in Deutschland (und habe nebenbei einen Bohnenimport-Rekord aufgestellt). Im Blog werde ich aber noch einige Dinge aufschreiben. Gibt noch viel zu erzählen.

Da fällt mir ein: Eigentlich wollte ich in Caracas noch auf den Avila, den Hausberg, das habe ich gar nicht mehr geschafft. Erst fuhr die Seilbahn nicht mehr, als wir dort waren, dann hat es die ganze Zeit geregnet und dann hatte ich keine Zeit mehr. Ein Grund wiederzukommen.

Mittwoch, 12. Mai 2010

Adolfo

Hitler-Vergleiche scheinen in Venezuela nicht so das Problem zu sein, jedenfalls habe ich schon viele gehört. Überrascht hat mich dann doch, was man im Kiosk auf der Straße kaufen kann.

Dienstag, 11. Mai 2010

Rap-Oma in der U-Bahn

Das U-Bahn-Netz von Caracas ist nicht besonders groß, dreieinhalb Linien, und doch: Ich denke, es ist für die Stadt eine große Errungenschaft. U-Bahn-Fahren ist billig, ziemlich sicher und vor allem ist man viel schneller unterwegs als mit dem Auto oder mit dem Bus im Verkehrschaos. So denken viele: Jeden Tag befördert die Metro rund zwei Millionen Passagiere. Und mehr geht einfach nicht. Vor allem zu den Stoßzeiten morgens und Abends drängen sich die Menschenmassen auf den Bahnsteigen und in den Zügen. Wenn die Klimaanlage ausfällt, was oft vorkommt, ist es stickig und heiß.

An den Haltestellen sind auf dem Boden gelbe Markierungen angebracht, die anzeigen, wo man sich anstellen soll. Wenn nicht so viel los ist, funktioniert das ganz gut. Wenn aber zur Rushhour plötzlich ein leerer Zug einfährt, kennt die Meute - nach einem Sitzplatz strebend - kein Halten mehr. Die Bahn hält und in drei, vier Sekunden ist der Wagen voll. Unglaublich.

Wenn die Bahn mal nicht ganz so voll ist, steigt manchmal ein Mann zu, verteilt Schokoriegel und sammelt sie danach wieder ein. Oder nimmt das Geld dafür. Ein super Sonderangebot, natürlich. Oder es gibt Live-Musik. Beatles' "Yesterday" auf der Blockflöte oder ein Gitarrenduo, sei es Latinostyle oder religiös angehaucht. Und dann, ganz unerwartet, kommt sie.

Sie trägt hohe Turnschuhe, dreiviertel-Leggins, eine lila Bluse und lange grüne Ohrringe; ihre schwarz-weiße Mütze, Typ Sträfling, verdeckt fast komplett ihre Haare. In der Hand hält sie ihren Ghettoblaster, an den sie aus Tesafilm einen Tragegurt gebastelt hat. Sie fängt an zu rappen, halbplayback zur Musik vom Band. Sie erzählt aus ihrem harten Leben. Und dabei sieht man, dass ihr am Unterkiefer ein paar Zähne fehlen. Wie alt sie ist, ist schwer einzuschätzen, 50, 60 Jahre?

Viele der Fahrgäste lächeln und stecken ihr gerne eine Münze oder einen Schein zu. Ich auch. Ein oder zwei Bolívares bekommt jeder, der einer solch ehrlichen und unterhalsamen Arbeit nachgeht. Und die Rap-Oma erst recht.

Bei Youtube kann man sich selber ein Bild machen (danke an Regina für den Link).



Donnerstag, 6. Mai 2010

Chávez hat die besseren Fragen

Sollte Hugo Chávez eines Tages nicht mehr Präsident von Venezuela sein, macht er möglicherweise in einem anderen Beruf Karriere: als Journalist. Zumindest hat er am Sonntag versichert, dass ihm 20 passendere Fragen einfallen würden, die man dem Präsidenten jetzt stellen könnte (anlässlich der Vorwahlen seiner Partei PSUV). Die Fragen der Journalistin des privaten Fernsehsenders Televen passen ihm augenscheinlich nicht (Was hat es mit dem "Parlamentarismo comunal" auf sich? Könnte man nicht die 40%-Gehaltssteigerung für die Soldaten auf andere Staatsbedienstete ausweiten und was machen eigentlich die Kubaner genau in der venezolanische Armee?). Deshalb greift el Señor Presidente lieber wortgewaltig die Journalistin und ihren Sender an.

Montag, 3. Mai 2010

Stadt aus Beton

Zwei Feststellungen über Caracas:

1) Für wen Beton eine Augenweide ist, für den ist Caracas das Paradies.
2) Wenn es eine Zeitmaschine gäbe, wäre Caracas ein Ort, an denen man sie sofort ausprobieren sollte.



Den Beton gibt es in allen Variationen, Sichtbeton, hellgrau, dunkelgrau, graubraun, schwarz verfärbt. Außen an den Häusern hängen die Ventilatoren der Klimaanlagen, verrostet. Manche der Fenster sind zersprungen. In den Wohntürmen - in einem 20-stöckigen wohne ich im dritten Stock - sind die Fenster vergittert, damit keiner rausfällt. An den Gittern hängen die Kleider zum Trocknen.



Es gibt Treppen aus Beton, Sitzbänke aus Beton, ein Theater aus Beton, Unterführungen aus Beton sowieso. Wuchtige, dunkle Einkaufszentren mit dem Ambiente eines Parkhauses.

Das alles war wohl mal modern.

Damals, als sich Caracas ab Mitte der 30er Jahre bis in die 50er, 60er Jahre hinein - getragen vom Erdölboom - von einer überschaubaren Stadt in eine moderne und ansprechende Metropole verwandelte. Über Kriminalität musste man sich übrigens damals offenbar keine Gedanken machen. In den 50ern, so erzählt eine Zeitzeugin, konnte man die Haustüre offen stehen lassen, einfach so.

Ein bisschen kann man ihn noch spüren, den Charme, der hier mal die Straßen entlangwehte. Auf dem Boulevard "Sabana Grande" oder im historischen Zentrum. Aber irgendwann vor ein paar Jahrzehnten ist Caracas architektonisch mehr oder weniger stehen geblieben. Und immer weiter gewachsen, die Barrios füllen jeden Flecken Erde aus, den sie finden können, ziehen sich überall die Hügel hoch. Offiziell wohnen rund 3 Millionen Menschen in der Stadt, aber im Grunde weiß niemand, wie viele es sind. Es können leicht doppelt so viele sein.

Und auch heute gibt es hübsche Ecken, etwa die Plaza Altamira mit Obelisk und Wasserfall. Hierher kommen die wohlhabenderen Bewohner der Stadt am Abend, um ein Bier zu trinken. Und dann cruisen sie zurück in ihre Häuser, um die sie eine Mauer gezogen haben, damit sie in Ruhe gelassen werden. Obendrauf Elektrozaun.