Dienstag, 6. Juli 2010

Drei Fragen an den Präsidenten

Zum Leidwesen vieler Journalisten sind die Medien in Venezuela extrem polarisiert. Darunter leidet die journalistische Qualität



Eigentlich sollte der "Tag des Journalisten" in Venezuela ein Tag des gemeinsamen Feierns sein. Doch als die Mitglieder des Berufsverbandes CNP am Sonntag vergangener Woche in einem Sternmarsch zum Sitz des TV-Nachrichtenkanals Globovisión zogen, waren nicht alle Kollegen dabei. Globovisión fährt einen harten Oppositionskurs zum Staatspräsidenten Hugo Chávez. Die Mitarbeiter dort haben Angst, dass der Sender geschlossen werden könnte. Für jene Journalisten, die Chávez’ "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" unterstützen, hat der Sender längst seine Daseinsberechtigung verloren.

Wie die Polarisierung Venezuela im Griff hat, wird an Szenen wie dieser deutlich: Vor ein paar Wochen hatte Adriana Núñez, eine junge Reporterin des TV-Senders Televen, die seltene Gelegenheit, Chávez bei einer Pressekonferenz zu befragen. Alle Kanäle waren live auf Sendung, Núñez war nervös. Sie wollte wissen, was es mit dem "kommunalen Parlamentarismus" auf sich hat, ob die 40-Prozent-Gehaltssteigerung für die Soldaten auf andere Staatsbedienstete ausgeweitet wird und was eigentlich die Kubaner genau in der venezolanischen Armee machen. Chávez entgegnete, er wisse 20 bessere Fragen. Dann zog er in einem langen Monolog über die Eigentümer des Kanals her, sie seien Putschisten und Oligarchen. Ein Begriff durfte auch nicht fehlen: Medienterrorismus. Núñez schluckte nur.

Die 26-Jährige ist für die Berichterstattung über den Präsidenten zuständig, aber sie hat keinen einzigen Kontakt in der Regierung, der sie zumindest informell mit Informationen versorgen könnte. Früher, so erzählen ältere Kollegen, konnten Journalisten im Präsidentenpalast frei bewegen, heute bekommt man vom Pressesprecher eines Ministers oft nicht einmal einen Rückruf.

Der Konflikt zwischen Chávez und den privaten Medien begann bald nach seinem Amtsantritt 1999. Der Präsident bezeichnete sie als "Feinde der Revolution", die meisten unterstützten 2002 aktiv oder passiv den Putsch gegen Chávez. Während dieser betont, dass nirgends auf der Welt die Pressefreiheit größer sei als in Venezuela, beklagen sich Journalisten, dass die Ausübung ihrer Arbeit immer schwieriger wird.

Auf der Rangliste der Pressfreiheit von Reporter ohne Grenzen liegt Venezuela auf Platz 124 von 175 Ländern, 2009 gab es laut der venezolanischen Organisation Espacio Público insgesamt 246 Fälle, in denen die Pressefreiheit verletzt wurde, darunter körperliche Angriffe auf Journalisten. 34 regierungskritischen Radiostationen wurde die Lizenz entzogen oder nicht verlängert.

Dass der Zugang zu Informationen nicht leicht ist, muss selbst Harin Rodriguez de Santiago zugeben, Redaktionsleiter beim staatlichen Radio RNV. "Die Regierung müsste sich viel weiter öffnen", sagt der 32-Jährige. Der Chef von 80 Journalisten empfängt im Eingangsbereich des Senders, auf dem Tisch liegen Broschüren, in denen eine Chávez-Rede abgedruckt ist. Rodriguez engagiert sich in der chavistischen "Bewegung für den notwendigen Journalismus" und sagt, er könne viel eher Journalismus für das Volk machen als seine Kollegen bei privaten Medien, wo alles von den "ökonomischen Interessen der Chefs abhängt."

In Venezuela ist einseitige Berichterstattung an der Tagesordnung. Die staatlichen Medien übertragen stundenlang Ansprachen des Präsidenten, die Privaten vergleichen Chávez gerne mal mit Mussolini oder Hitler. Manche Privatsender, darunter Venevisión und Televen, achten seit einer Weile peinlich darauf, beiden Seiten dieselbe Sendezeit einzuräumen. Fest steht aber: Gute Recherche oder gar investigativer Journalismus ist Mangelware. Dabei wäre das gerade jetzt notwendig, es ist Wahlkampf für die Parlamentswahl im September.

"Man muss sehr aufpassen, was man sagt", beklagt die Fernsehreporterin Núñez. Es kann Strafen hageln, wenn Nachrichten gesendet werden, die die öffentliche Ordnung stören oder die Sicherheit des Staates gefährden. Der Interpretationsspielraum dabei ist groß. Und einem Sender kann die Verlängerung der terrestrischen Lizenz verweigert werden. So erging es 2007 RCTV, der nach seiner Unterstützung des Putsches kritisch blieb. Inzwischen ist er auch nicht mehr im Kabelnetz vertreten.

Was ist die Folge des Drucks? Cecilia Caione zögert nicht: Selbstzensur. Caione arbeitet für die Últimas Noticias, die größte Tageszeitung im Land. Selbst will sie weiter alles schreiben, aber an manchen Tagen hat sie einfach keine Lust, eine Beleidigung als Antwort zu bekommen. Dann stellt sie eben keine Frage. "Aber das ist doch schlimm", sagt sie, "denn dann informierst du nicht."

(Erschienen am 06.07.2010 online bei der Frankfurter Rundschau und in leicht gekürzter Fassung in der Berliner Zeitung.)

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